Geschlechtergerechte Lausitz: Für einen feministischen und intersektionalen Strukturwandel als Modell
Strukturwandel in der Lausitz und im Mitteldeutschen Revier muss so gestaltet werden, dass er für alle gerecht ist und dass aus den (ehemaligen) Kohleregionen auch wirklich Zukunftsregionen werden können. Fest steht: Die Region steckt mitten in einer tiefgreifenden Veränderung: wirtschaftlich, sozial und mit Blick auf die Infrastruktur. Alle Bereiche der Gesellschaft sind betroffen: Arbeitsplätze, Wohnraum, öffentlicher Nahverkehr, Kitaplätze, aber auch Kunst, Kultur, Zivilgesellschaft.
Das ist eine Herausforderung, erst recht in einer Zeit, die sich für die Menschen ohnehin schon unsicher anfühlt. Es ist aber auch eine Riesenchance: Denn jetzt können wir politisch und wirtschaftlich die Weichen stellen, dass hier zu leben auch in Zukunft wirtschaftlich, sozial, demographisch und kulturell den Bedürfnissen der Menschen entspricht. Wichtig ist, und nur dann ist es nachhaltig, dass alle von den Strukturwandelmaßnahmen profitieren und dass es gerecht für alle, insbesondere auch für strukturell benachteiligte Gruppen, ist. Gleichwertige Lebensverhältnisse, wie sie als Staatsziel im Grundgesetz formuliert sind, sind besonders in Transformationsprozessen die Zielstellung. Dafür muss auch und vor allem eine Geschlechtergerechtigkeits-Perspektive eingenommen werden.
Die Art, wie Strukturwandelprojekte aktuell konzipiert, ausgewählt und umgesetzt werden, dient nicht dazu Geschlechtergerechtigkeit voranzubringen. Die öffentlichen Gelder für den Strukturwandel kommen häufig bei Frauen, trans*, inter* und nicht-binären Personen nicht an. Bei der Vergabe von Fördermitteln werden ihre Interessen nicht ausreichend beachtet. Und das, obwohl nach InvKG Artikel 1 §4 Abs. 3 bei den geförderten Vorhaben sowohl die demografische Entwicklung als auch die Nachhaltigkeitsziele im Rahmen der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie berücksichtigt werden sollen.
Dabei können wir uns die fehlende Geschlechter- und Diversitätsperspektive gar nicht leisten. Viele, vor allem gut ausgebildete Frauen, wandern bereits heute aus der Region ab, oder kommen nach der Ausbildung nicht zurück. Gleiches beobachten wir auch für queere Menschen. Insbesondere die zurückkehrenden Frauen arbeiten in Jobs, für die sie eigentlich überqualifiziert sind. Eine Wirtschaftsförderung, die nur traditionelle Jobs im Bergbau und in der Industrie schafft, ist zu einseitig. So geht Innovationspotenzial verloren.
Überspitzt formuliert ist die Lausitz ein demographisches Katastrophengebiet. Diese Dynamik wird sich nicht mehr umfänglich aufhalten lassen, daher ist es umso wichtiger, die Frage zu adressieren, wie umfassende Geschlechtergerechtigkeit in diesem Ungleichgewicht hergestellt werden kann. Die Frage von Zuzug und Neuansiedlungen in der Lausitz wird hier entscheidend sein. Dafür braucht es den Abbau strukturellen Defiziten in der Arbeitswelt insbesondere die Förderung von Akzeptanz und Vielfalt am Arbeitsplatz, durch Gleichstellungs- und Diversity-Management-Strukturen in Betrieben, Belegschaften vor allem aber übergreifend durch regionale Kammern und Innungen, welche ihrer Schlüsselrolle dafür gerecht werden müssen! Für die Förderung von umfassender Geschlechtergerechtigkeit wollen wir die Aufwertung und bessere Anerkennung von Sorge-Arbeit erreichen, welche in einer immer älter werdenden Gesellschaft mit zu wenigen Kindern deutlich mehr Wertschätzung erfahren muss.
Ohne sichere Zukunftsaussichten wird die Familienplanung junger Menschen erschwert. Die Gesellschaft überaltert. Es fehlt an kulturellen und gemeinwohlorientierten Angeboten, Möglichkeiten zur Vernetzung sowie Beratungsstrukturen, die das Leben in der Region insgesamt attraktiver machen. Frauen, trans*, inter* und nicht-binäre Personen sind unverzichtbare Träger*innen von Vereinen, Demokratieprojekten oder CSDs. Ihr Wegzug bedeutet daher eine Schwächung der Zivilgesellschaft. Das kann dazu führen, dass Demokratie- und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wie etwa Rassismus, Antisemitismus oder Queerfeindlichkeit weiter ausbreiten und sich die Abwanderung weiter verstärk.
Wichtig ist, mithilfe einer feministischen und intersektionalen Perspektive den Blick auch auf andere benachteiligte Gruppen zu richten. Die beschriebenen Effekte von Ungleichheit wirken sich auch auf die Lebensrealität von armutsbetroffenen Menschen, Menschen mit Migrationsbiographie, Alleinerziehende, Menschen mit Behinderungen, queere Menschen sowie Kinder und Jugendliche aus. Besonders zu berücksichtigen ist in der Lausitz auch das sorbische Volk, da der Kohleabbau für die Sorb:innen tiefe Narben hinterlassen hat. Der expansive Kohleabbau bedeutete in der Region, dass Dörfer verschwanden, und damit Gemeinschaft, Kultur und Sprache verloren gegangen sind.
Die beschriebenen strukturellen Ungleichheiten lassen sich nur mit einem Strukturwandel auflösen, der alle Menschen in den Blick nimmt. Denn mit diesem Blickwinkel können die Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur auf eine Weise weiterentwickelt werden, die die strukturellen Ungleichheiten benachteiligter Gruppen und die unterschiedlichen Lebensrealitäten aller Geschlechter mitdenkt. Nur ein feministischer und intersektionaler Ansatz im Strukturwandel bringt umfassende soziale Gerechtigkeit, indem er sich bewusst für die Entwicklung nachhaltiger Lebenschancen für alle in der Region einsetzt. Ohne eine starke feministische und intersektionale Perspektive der umfassenden Gleichstellung auf Strukturwandelprojekte wird es in dieser Transformation keine Geschlechtergerechtigkeit geben und der Strukturwandel in der Lausitz nicht gelingen.
Die vielfältigen Fraueninitiativen in der Lausitz, das Bündnis der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten der Lausitz und das Netzwerk „F wie Kraft“, die bereits Pionierarbeit im Themenfeld Gleichstellung und Strukturwandel geleistet haben, sowie die Umlandberatung des Gerede e. V. und die lokalen CSDs, etwa in Görlitz und Bautzen, unterstützen wir ausdrücklich und fordern die stabile Finanzierung ihrer Aufgaben.
Die folgenden Forderungen greifen Ideen und Vorarbeit des Bündnisses auf:
Um Strukturwandel in der Lausitz und im Mitteldeutschen Revier zukünftig sozial gerecht zu gestalten, fordern wir
- Institutionen und Gremien, die Entscheidungen über die Vergabe von Strukturwandelfördermitteln im Rahmen des Strukturstärkungsgesetzes treffen, paritätisch zu besetzen, um zu gewährleisten, dass die Vergabe von Fördergeldern geschlechtersensibel verläuft.
Dafür braucht es die Verbesserung der Rahmenbedingungen der politischen Arbeit, insbesondere in der ehrenamtlichen Kommunalpolitik, damit sie für alle Geschlechter und alle Altersgruppen, sowie durch Mitglieder unterrepräsentierter Gruppen möglich ist.
- Gleichstellungsaspekte bei der Haushaltsplanung zu berücksichtigen (Gender Budgeting) und die Vergabe von Strukturfördermitteln neben ökologischen auch an Kriterien der Förderung von Geschlechter- und sozialer Gerechtigkeit zu koppeln (bei der STARK-Richtlinie gibt es etwa die neue Möglichkeit, auch Unternehmen zu fördern). Dies gilt auch für zukünftige Förderprogramme von Land, Bund und Europäischer Union – sie müssen so eingesetzt werden, dass sie feministischen und intersektionalen Kriterien genügen. Bei Gesetzgebungsprozessen müssen die unterschiedlichen Auswirkungen auf Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten in den Blick (Gender Mainstreaming) genommen und evaluiert werden.
- die Einrichtung einer Fachstelle Geschlechtergerechtigkeit in der Lausitz, die die Aufgaben Monitoring, Beratung, Wissensbündelung, Evaluierung sowie den Aufbau von Unterstützungsstrukturen und Beratung für die Akteur:innen vor Ort hat und eigenständig in der Region arbeiten kann. Für eine solide Evaluierung braucht es Daten: Gleichstellungsfragen müssen bei Evaluation und Monitoring Teil des Indikatorensets sein.
Dabei sind auch Geschlechtsidentitäten jenseits der Binarität von Frau und Mann zu berücksichtigen.
- Möglichkeiten von Partizipation und Einspruchsmöglichkeiten bei der Strukturmittelvergabe für die Zivilgesellschaft zu schaffen; dafür müssen Informationen verständlich, zugänglich und transparent sein und niederschwellige Beteiligungsformate angeboten werden.
- die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten weiter zu stärken und sie mit echten Handlungs- und Entscheidungskompetenzen auszustatten; bereits vorhandene Strukturen, die von Frauen, trans*, inter* und nicht-binären Personen aufgebaut wurden (wie z. B. das Bündnis der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten der Lausitz), müssen bei der strukturellen Organisation von Ressourcenflüssen eng in Entscheidungsprozesse eingebunden werden.
- sich auf kommunaler und Landesebenen für Bleibe- und Rückkehrperspektiven in der Region einzusetzen; dafür braucht es gut bezahlte und flexible und diskriminierungsfreie Arbeitsplätze, die die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Ehrenamt ermöglichen, und eine gute Daseinsvorsorge mit bezahlbarem Wohnraum mit ausreichenden Angeboten der Kinderbetreuung, Pflege, Bildung und Weiterbildung, geschlechtersensibler Gesundheitsversorgung auch für trans*, inter* und nicht-binäre Menschen, Freizeitgestaltung, Kultur und Engagement. Auch eine Willkommenskultur für Zugezogene gehört dazu, welche wir durch den gezielten Abbau diskriminierender Strukturen und Empowerment von Vielfalt fördern wollen.
- den Abbau geschlechterstereotyper Berufswahl durch eine gezielte MINT-Förderung von Frauen- und Mädchen (also die Tätigkeit in Mathematik, Ingenieur-, Naturwissenschaften oder Technik) sowie geschlechtersensible Berufsorientierung, sodass junge Menschen anhand ihrer Interessen und Talente entscheiden und vorherrschende Rollenbilder überwinden können. Überdies fordern wir wohnortnahe Ausbildungsmöglichkeiten, welche einen Verbleib junger Menschen in der Region fördern.
- Investitionen in den öffentlichen Dienst, insbesondere im akademisierten Bereich. Solche Stellen sind für Frauen besonders attraktiv, so dass sie hier überdurchschnittlich profitieren. Dazu braucht es die konsequente Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes für den öffentlichen Dienst, um ein Vorbild für gute Gleichstellung für alle Tätigkeitsbereiche Bereiche der Gesellschaft zu sein.
- sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Gesundheit und Pflege einzusetzen – hier ist der Anteil von Frauen und Menschen mit Migrationsgeschichte besonders hoch und sie leisten einen unerlässlichen Beitrag zur gesundheitlichen Versorgung im ländlichen Raum. Dabei denken wir auch an die vielen Menschen, die meist von ihren weiblichen Angehörigen zuhause gepflegt werden und wollen sie in ihrer wichtigen Arbeit gezielt unterstützen, Beratung anbieten und Hilfe-Netzwerke fördern.
- gezielt Infrastrukturprojekte zu fördern, die die Bedürfnisse von Frauen, trans*, inter* und nicht-binären Personen sowie weiteren benachteiligten Gruppen – z. B. Kindern, älteren Menschen oder Menschen mit Behinderungen – in den Vordergrund stellen, u.a. durch den Ausbau des ÖPNV („letzte Meile“, Schulbusverkehr, barrierefreier Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, gut beleuchtete Haltestellen und Heimwege). Hier setzen wir uns besonders für attraktive Pendel-Verbindungen ein, z.B. durch die vollständige Elektrifizierung der Bahnstrecken zwischen Dresden und Kamenz, sowie Görlitz, weil deutlich leistungsfähigere, komfortablere Pendel-Verbindungen, zusammen mit der Versorgung mit Glasfaser-Anschlüssen im Homeoffice, den beruflich bedingten Wegzug aus der Region entgegenwirken.
- Akteur*innen, Bündnisse und Netzwerke vor Ort, die sich zivilgesellschaftlich, z. B. in Demokratieprojekten engagieren, besser zu unterstützen. Das ist unerlässlich, um zum einen antidemokratische, antifeministische und queerfeindliche Bestrebungen zu bekämpfen, und zum anderen ist Ehrenamt auch ein regionaler Attraktivitätsfaktor: Wer sich engagiert, bleibt. Deshalb setzen wir uns nachdrücklich für eine gesicherte Finanzierung zivilgesellschaftlichen Engagements ein.