Niedriginzidenzstrategie für sichere Schulen und gesellschaftliches Leben

Seit über einem Jahr zwingt uns das Corona-Virus in einen neuen Alltag. Wir
haben das Ziel eines”normalen”gesellschaftlichen Lebens fest vor Augen und
schlagen eine Strategie vor,mit der wir dieses Ziel auch erreichen können.
Nüchtern betrachtet ist die Situation heute eine ganz andere als noch vor
wenigen Monaten. Die neu aufgetretenen Mutationen sind ansteckender und
womöglich tödlicher als das Ursprungsvirus. Die Infektionszahlen steigen in
Deutschland seit Ende Februar wieder exponentiell an. Der Freistaat Sachsen
zählt dabei zu den Bundesländern mit der bundesweit höchsten Inzidenz. Die Lage
in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen verschärft sich dramatisch.
Das ist besorgniserregend und zwingt uns dazu, unsere Reaktionen auf die
Pandemiezielgenau neu zu justieren.
Wir fordern eine neue Strategie in der Corona-Pandemie, die den Schutz von Leben
undGesundheit aller Menschen in den Mittelpunkt stellt und neben der
kurzfristigen Reaktion auf hohe Fallzahlen das Ziel dauerhaft niedriger
Inzidenzen ins Visier nimmt. Politisches Ziel ist dabei die mittelfristige und
nachhaltige Öffnung aller Lebensbereiche und die Wiederherstellung der
bürgerlichen Freiheiten bei gleichzeitigem Gesundheitsschutz aller
Bevölkerungsteile
Wir appellieren an die Landesregierung, sich für auch auf Bundes- und EU-Ebene
für eine Niedriginzidenz-Strategie einzusetzen.
Mit Blick auf die besorgniserregenden Entwicklungen auf den Intensivstationen
und täglich mahnender Intensivmediziner*innen, Wissenschaftler*innen sowie des
Bundesgesundheitsministers schließen wir uns der Empfehlung des RKI an, die eine
50-prozentige Kontaktreduzierung so schnell wie möglich für mindestens 4 Wochen
fordert,um eine kurzfristige Überlastung der Intensivstationen zu vermeiden
[1].
Ein wirksamer und solidarischer Lockdown muss jetzt alle Bereiche der
Gesellschaft einschließen. Bewegung und Sport von Kindern, Jugendlichen und
Familien im Außenraum und auch die Verlagerung von Kinderbetreuung und Schule
nach draußen sollte dabei besonders berücksichtigt werden. Alle Beschränkungen
zumSenkenderFallzahlen müssen an derenWirksamkeit ausgerichtet sein.Dazu
gehören auch weitere Maßnahmenzur Entzerrung des ÖPNV und eine lebensnahe
Ausgestaltung der Kontaktregelungen.
Ziel eines erneuten Lockdowns müssen eindeutig niedrige,stabile Inzidenzen und
ein dauerhafter R-Wert unter 1 sein,damit Öffnungen begleitet von Tests,
Kontaktnachverfolgung und den bekannten Hygienemaßnahmen durchgeführt werden
können. Die Schulen,Kitas und Bildungseinrichtungen müssen bei Öffnungsschritten
Priorität haben.

I. Niedriginzidenz-eine Öffnungsstrategie
Aktuell haben viele Menschen den Eindruck,dass die Maßnahmen der
Bundesregierung und der Länder nur noch darauf gerichtet sind,die Wirtschaft
ohneunmittelbaren Kundenverkehr auf Kosten der Ladenbesitzer*innen,
Kultureinrichtungen,Schüler*innen sowie der persönlichen Freiheiten aufrecht zu
erhalten.Dies hat zu einer Ermüdung der Menschen und in Teilen der Bevölkerung
zu einer mangelndenAkzeptanzder Maßnahmen geführt.
Wir fordern daher eine gesamtgesellschaftliche Strategie zur konsequenten
EindämmungvonSARS-CoV-2-Ansteckungen,wie sie in anderen Ländern gelungen ist.
BÜNDNIS90/DIEGRÜNENorientiertsich wie bei der Klimakrise an der Wissenschaft
undtritt für eine nachhaltige Niedriginzidenz-Strategie in Sachsen ein.Der R-
Wert muss dafür dauerhaft unter 1 sein.Eine zuverlässige Datenlage ist durch
die Gesundheitsämter sicherzustellen,Meldeverzug und andere Unsicherheiten sind
zu beachten.
Solch eine Niedriginzidenz-Strategie ist für Gesellschaft und Wirtschaft im
Vergleich zum ständigen Lockerungs-/Schließungs-Jojo vorteilhafter.Es ist noch
nicht zu spät,diesen Weg einzuschlagen [2].
Diese Strategie soll angelehnt an die No-COVID-Strategie sein,die von der
Wissenschaftler*innengruppe unter https://nocovid-europe.eu vertreten wird.
Kern-und Startpunkt der Strategie müssen niedrige Inzidenzen weit unter 50
sein,auf deren Grundlage dann von Tests,optimierter digitaler
Kontaktnachverfolgung,konsequenten Quarantäneregelungen sowie den bekannten
MaßnahmenvonMasken,AbstandundLüftenbegleitete Öffnungsschritte gegangen
werden können.
Innerhalb dieser Strategie treten an die Stelle der einfachen Inzidenz die
Begriffe Risikofallzahl und Risikoinzidenz.Diese beziehen sich auf Fälle,deren
Ursprung nicht sicher geklärt werden kann und sich somit nicht alle
Kontaktpersonen in Isolation begeben können.Wenn es gelingt,diese Fälle auf
Landkreisebene nahe null zu halten,sind deutliche Lockerungsschritte möglich.
Diese konkrete Betrachtung des Infektionsgeschehens auf der Ebene von
Landkreisen und kreisfreien Städten erlaubt auch unter dem Gesichtspunkt der
verfassungsrechtlichen Subsidiarität,die ortsspezifischen Besonderheiten
abzubilden und zügig Grüne Zonen zu errichten.Die zunächst lokale
WiedergewinnungvonAlltag und erweiterten Kontaktmöglichkeiten wird Mut und
Mitwirkungsbereitschaft der Menschen bei der Ausweitung und Stabilisierung der
GrünenZonendeutlich stärken.
Die erfreuliche Beschleunigung der Impfungen,durch weitere Einbindung von Haus-
undauchBetriebsärzt*innen und der zügige Ausbau der Testinfrastruktur,
insbesondere im ländlichen Raum sind wichtige Bausteine zum Erreichen und
erhalten einer Niedriginzidenz und sollten uns ermutigen,eine solche Strategie
zu verfolgen.

II. Verantwortung der Wirtschaft einfordern
Ein Lockdown ist aus unserer Sicht nur wirksam,wenn auch die Arbeitswelt
einbezogen wird.Daher fordern wir eine zeitlich befristete aber rechtlich
verpflichtende,Umsetzung von Homeoffice,überall dort,wo es möglich und
notwendig ist,um so die Ansteckungsgefahr sowohl am Arbeitsplatz als auch auf
demArbeitswegzuvermindern.
Woweiterhin in Präsenz gearbeitet werden muss,müssen Unternehmen
verpflichtende Selbsttest für alle Arbeitnehmer*innen mindestens dreimal
wöchentlich durchführen sowie zusätzliche Abstands-und Masken-und
Hygieneregeln konsequent umsetzen.Die Kosten hierfür dürfen nicht bei den
Arbeitnehmer*innen abgeladen werden.Bei positiven Tests muss Clusterquarantäne
mindestens entsprechend der Quarantäneempfehlungen des RKI unbedingt
durchgesetzt werden.
ImFalle sehr hoher Inzidenzwerte in einzelnen Landkreisen sind für Betriebe mit
Arbeitsplätzen,für die keine Homeoffice-Lösungen möglich sind (z.B.
Produktionsarbeitsplätze) und die nicht der Daseinsfürsorge zuzurechnen sind
verpflichtende Betriebsruhen über einen bestimmten Zeitraum ins Auge zu fassen.

III. Priorität für Schulen und Kitas
Wir widersprechen ausdrücklich der Entscheidung,Schulen und Kitas
inzidenzunabhängig zu öffnen. Die letzten Tage zeigen, dass gerade bei Kindern
und Jugendlichen die Inzidenz weit über den Durchschnitt gestiegen ist.
Wir erkennen an, dass die Testpflicht ein bedeutender Baustein für eine sichere
Öffnung der Schulen ist, bei den aktuell hohen Inzidenzen aber ein falsches
Gefühl der Sicherheit vermittelt und nicht als Begründung für das
inzidenzunabhängige Offenhalten der Schulen dienen kann.
Wir wollen, dass diese Erkenntnisse und Erfahrungen endlich auch in das
politische Handeln der Staatsregierung einfließen.Wir sind überzeugt, damit
auch demWillen vieler Eltern und Kinder zu entsprechen,die sich vor einer
SARS-CoV-2-Infektion im Kita-oder Schulbereich fürchten.
Wir unterstützen die Forderungen des offenen Briefs [3] und fordern jetzt:

1. Schließung aller Schulen und Kitas (außer Notbetreuung und Unterstützung für
Kinder und Familien mit besonderem Bedarf) bis die 7-Tages-Inzidenz wieder
deutlich unter 100 Fällen/100.000 EW gesunken ist und nicht ansteigt sowie eine
effektive Verfolgung und Eindämmung von Infektionsfällen durch zuverlässige
Ermittlung und Beobachtung der Risikoinzidenz nachhaltig möglich ist.Die
Öffnung von Schulen sollte Priorität gegenüber sonstigen Lockerungen haben und
nur schrittweise und unter intensiver Beobachtung des Infektionsgeschehens
geschehen.DiezunehmendeVerlagerung der Infektionen in die jüngeren
Altersgruppen werden wir genau beobachten und die Kinder dementsprechend
schützen.Hohe Inzidenzen unter Kindern sind für uns auch bei gleichzeitig
niedriger Gesamtinzidenz nicht akzeptabel.

2. Etablierung von Unterricht in festen kleinen Gruppen als erster
Öffnungsschritt sowie Wechselunterricht auch in der Grundschule bereits unter
einer Inzidenz von 100.Die Lerngruppen können und sollen auch an
außerschulischen Lernorten und insbesondere im Freien zusammentreffen.

3. Möglichst häufige, mindestens dreimal wöchentliche Einzel-Tests vor
Schulbeginn aller Schüler*innen sowie Lehrer*innen und weiterer Schulangehöriger
beim Betreten des Schulgrundstücks,Schaffung der Möglichkeit von Gurgel-PCR-
Tests als Pooltest,da diese eine höhere Aussagekraft besitzen und Infektionen
früher nachweisen können.

4. Die Einführung und Durchsetzung der Maskenpflicht an allen Schulen möglichst
weitgehend auch während des Unterrichts. Auch der im Wechselunterricht mögliche
Abstand von 1,5 m verhindert nicht die Ansteckung durch Aerosole, insbesondere
in nicht ausreichend belüfteten Klassenzimmern.

5. DieAnschaffung und sicheren Betrieb von Luftreinigern für Klassenzimmer,in
denen keine ausreichende Querlüftung möglich ist. Hierfür streben wir eine
Finanzierung durch Land und Bund an.

6 .Bessere Voraussetzungen für häuslichen Unterricht sowohl im
Wechselunterricht,bei vollständiger Schulschließung als auch für die diejenigen
Schüler*innen,die sich gegen die Präsenz in der Schule entscheiden durch das
Sächsische Staatsministerium für Kultus, etwa durch Videoübertragungen,
Hilfestellung durch Pädagog*innen, Pädagogik-Studierende,Sozialpädagog*innen
undqualifizierte digitale Angebote. Dabei soll insbesondere auf die Bedürfnisse
von sozial benachteiligten Kindern und Familien sowie Kindern mit besonderem
Förderbedarf eingegangen werden und Unterstützungssysteme sowohl aus der
Zivilgesellschaft als auch aus bestehenden sozialpädagogischen Angeboten
gefördert werden.

Wir begrüßen darüber hinaus ausdrücklich die Abschaffung der Schulpräsenzpflicht
in der CoronaSchutzVO vom 29. März.Der Bildungsauftrag des Staates bleibt auch
für die Schülerinnen und Schüler erhalten,die sich für eine Abmeldung vom
Präsenzunterricht entschieden haben.Das Kulktursministerium und die Schulen
dürfen keinen mittelbaren Zwang zum Schulbesuch ausüben.
Schüler*innen,die dem Präsenzunterricht fernbleiben,dürfen aber keine offenen
oder versteckten Nachteile sowohl beim Bildungsfortschritt als auch bei
Prüfungen erleiden.Die ggf. notwendige Betreuung der Kinder durch einen
Elternteil muss auch arbeitsrechtlich mit weiteren Fehltagen abgesichert werden
IV. Grundrechte verteidigen-auch in der Pandemie
Wir BÜNDNISGRÜNE verteidigen die Ausübung der Grundrechte. Auch in der Pandemie
dürfen sie nur im erforderlichen, notwendigen und angemessenen Ausmaß
eingeschränkt werden und auch nur solange keine grundrechtsschonenderen Lösungen
zur Verfügung stehen. Die weitgehende Erhaltung und Wiederherstellung der
Grundrechte ist nicht nur verfassungsrechtlich geboten und für eine lebendige
Demokratie unerlässlich, sondern auch Voraussetzung einer Zustimmung der
Bürger*innen zu den Schutzmaßnahmen.Auf der anderen Seite hat der Staat eine
Schutzpflicht für die Gesundheit aller Bürgerinnen und Bürger und gerade der
Schwächsten.
Im Nachhinein müssen wir feststellen, dass der Staat bei der Beschränkung der
zentralen Grundrechte der Versammlungsfreiheit,der Religionsfreiheit oder der
Berufs- und Gewerbefreiheit von Ladenbesitzer*innen Grenzen unzulässig
überschritten hat. Andererseits muss der Staat die Rechtsordnung auch
durchsetzen und nicht wie bei vielen sog.”Querdenker”-Demonstrationen
einknicken.
Wir wissen,dass gerade Ausgangssperren für viele Menschen und nach einem Jahr
Pandemie sehr schmerzliche Eingriffe in die persönliche Freiheit sind.Auch ist
die Ansteckungsgefahr in Innenräumen wesentlich höher ist als draußen.Wir
wollen uns hier auch angesichts der aktuellen Rechtsprechung des OVG Bautzen für
differenzierte Lösungen einsetzen.

V.Parlamentsentscheidung und Expert*innenrat
Wir fordern die Landtagsfraktion auf,sich weiterhin dafür einzusetzen,dass der
Landtag seine Gesetzgebungsrechte und -pflichten auch in der Pandemie
vollumfänglich wahrnimmt.Demokratische Legitimation entsteht nur durch
Entscheidungen des gewählten Parlaments in der Sache.Nur Landtagsentscheidungen
gewährleisten eine offene und öffentliche Debatte über die notwendigen
Maßnahmen.
Damit die erforderlichen Maßnahmen sachgerecht vorbereitet,implementiert und
begleitet werden können,fordern wir die Einrichtung eines Rates von
Expert*innen unterschiedlicher Fachrichtungen.Dieser Pandemie-Rat berät
Staatsregierung und Landtag und gibt Empfehlungen ab.

Quellen
______________________________________________________________
[1] Epidemiologisches Bulletin vom 01.04.2021
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/13_21.pdf?__b-–lob=publicationFile
[2] (https://www.institutmolinari.org/wp-content/uploads/sites/17/2021/03/etude-zero-covid2021_en.pdf ,deutsche Artikel zur Studie
https://www.rnd.de/wirtschaft/studie-no-covid-lander-haben-ihre-wirtschaft-am-besten-geschutzt-I6TA2VIASZHTBFLFRPOT4U5DM4.html)
[3] https://www.openpetition.de/petition/online/sichere-und-gerechte-bildung-in-
sachsen-auch-waehrend-der-pandemie

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